Nach dem Hildegard von Bingen – Album 2001 wurde es still um Schwedens Folkrock-Pioniere GARMARNA. Obwohl sie für lange Jahre in der Versenkung verschwanden, hatten Emma, Stefan, Gotte, Jens und Rickard offiziell nie ihre Auflösung verkündet. In ihrem Heimatland spielte die Band dann auch noch das ein oder andere Konzert, hierzulande bekam man davon jedoch wenig mit. Dies änderte sich 2014, als GARMARNA auf dem Festival Mediaval in Selb ihr vielumjubeltes Deutschland-Comeback feierten. Schon da deutete sich an, dass es eventuell auch neues Material geben könnte. Heute,15 Jahre nach der letzten Studioveröffentlichung, erscheint nun ein neues Album, dass die Skandinavier schlicht „6“ betitelt haben. Selten war ein CD-Release von Fans mit mehr Spannung erwartet worden.
Als Opener für das neue Werk wählte die Band das bereits vorab als Single und Video veröffentlichte „Över Gränsen“. Obwohl der Song eigentlich die sich verändernde Gesellschaft zum Thema hat und ein flammendes Plädoyer dafür ist, sich nicht Hass und Gewalt zu ergeben, steht er auch für das, was GARMARNA schon immer getan haben, nämlich auch musikalisch „Över Gränsen“ zu gehen. Das Stück macht beim Hören sofort klar, dass die Musiker in keinster Weise vergangenen Zeiten hinterhertrauern, sondern scheinbar spielend ihre alte Rolle als Vorreiter wieder einnehmen. Mit „6“ ist den Schweden ein unglaublich zeitgemäßes Elektrofolk-Album gelungen, das wirklich seinesgleichen sucht. Dass das Ganze bei aller Modernität und trotz der hervorragenden Produktion nicht zu glattpoliert daherkommt, weiß allein schon das nordische Folkinstrumentarium zu verhindern. Das Album ist vielschichtig und es will vor allem laut gehört werden, denn dann erst enfaltet sich die Musik richtig und offenbart all ihre Zwischentöne und -Stimmungen.
Auch die Beschäftigung mit den Texten lohnt. Hochaktuelle Themen wie die Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer, Kindesmißhandlung und Rache oder auch etwas harmlosere Dinge wie Abschied und Liebeskummer werden da verarbeitet. Bei allem Tiefgang und der natürlich in vielen Liedern vorhandenen und mitschwingenden skaninavischen Melancholie, sind Stücke wie „Väktaren“ oder „Nåden“ oder selbst das etwas langsamere und düster angehauchte „Öppet hav“ mit ihren vorwärtstreibenden Beats aber absolut dancefloor- und partytauglich. Und nicht nur das rhythmische Gerüst stimmt, die Band beweist auch einmal mehr ein Gespür für große Melodien, die natürlich von Emmas Ausnahmestimme getragen und zum klingen gebracht werden.
Es steht zu hoffen, dass GARMARNA mit dem neuen Material bald auch wieder den Weg auf deutsche Livebühnen finden. Unsere Top-CD 2016 jedenfalls ist mit ziemlicher Sicherheit gefunden. Selten waren wir uns zu einem derart frühen Zeitpunkt bereits über das „Album des Jahres“ einig – aber was will das denn auch toppen?
Obwohl…
Vielleicht schaffen es GARMARNA ja tatsächlich noch, sich selbst zu übertreffen? Laut eigenem Bekunden haben die Fünf im Studio nämlich ungefähr doppelt so viele neue Songs aufgenommen, wie letztendlich auf die CD gepasst haben. Nachdem sie sich gegen die ursprünglich im Raum stehende Idee eines Doppelalbums entschieden haben, soll der Rest nun zu einem noch nicht feststehenden Zeitpunkt veröffentlicht werden. Aber darauf wird man ja hoffentlich nicht wieder 15 Jahre warten müssen.
Janina Stein & Florian Hessler
Pünktlich zum Albumrelease haben GARMARNA auch gleich das zweite Video dazu veröffentlicht – hier ist „Öppet hav“: